Freizeitvergnügen oder gesellschaftliche Aufgabe?
„Jäger ist er nicht, aber der Hang zur Übertreibung ist da.“ Fürst Otto v. Bismarck
Wer sich heute mit der Jagd beschäftigt, berührt dabei unweigerlich den Ursprung der Menschheit.
Die Jagd war das erste Handwerk, welches der Mensch erlernt hat.
Sie sicherte nicht nur sein Überleben, sondern ermöglichte seinen evolutionären Fortschritt: Nur durch den Verzehr des durch die Jagd gewonnenen eiweißreichen Fleisches war es möglich, dass sich das Gehirn des Menschen vergrößern konnte und er sich zum Homo sapiens entwickelte.
Je weiter man den Blick aber in die Neuzeit oder gar die Gegenwart richtet, desto mehr zeigt sich, dass die Jagd ihr Wesen und ihren Charakter vollkommen geändert hat. Gelegentlich wird daraus der Schluss gezogen, dass Jagd in der heutigen Zeit überflüssig sei oder gar sinnloses Töten wäre. Bei differenzierter Betrachtung jedoch wird deutlich, dass die Jagd auch und gerade heute wichtige gesellschaftliche Funktionen erfüllen und einen Beitrag für die Gesellschaft und unser Gemeinwesen leisten kann, sofern sie mit dem entsprechenden Selbstverständnis ausgeübt wird.
Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert entwickelte sich die Jagd zu einem Zeitvertreib des gehobenen Adels und des Hochadels und war diesem exklusiv vorbehalten. Erst mit der deutschen Revolution 1848 erlangte die normale Landbevölkerung das Recht zu jagen. Sie nutzte dieses Recht meist, um sich mit Fleisch zu versorgen. Seit dem Ende des 19. bis weit in das 20. Jahrhundert hinein war die Jagd in Deutschland dagegen geprägt vom Streben nach möglichst starken Trophäen und möglichst hohen Wildbeständen.
Heute ist die Jagd - zumindest in Deutschland - all denen gestattet, die eine Jägerprüfung, bestehend aus Theorie, Praxis und einer Schießprüfung, erfolgreich absolvieren und damit grundsätzlich die Berechtigung erlangen, sich eine behördliche Jagderlaubnis, den Jagdschein, ausstellen zu lassen. Mehr als 380.000 Menschen haben in Deutschland eine solche Erlaubnis.
Was aber bewegt Menschen heute dazu, sich freiwillig einer anspruchsvollen Prüfung zu unterziehen, sich danach eine teure Ausrüstung zuzulegen, um dann, meist gegen Entrichtung einer Pacht, jagdbaren Wildtieren nachzustellen, um sie zu töten? Der Hunger, wie damals in grauer Vorzeit, kann es nicht sein. Fleisch und andere Lebensmittel sind hierzulande überall günstig und im Überfluss verfügbar. Was also ist es dann?
Erfüllt die Jagd noch das Klischee, dass sie ausgeübt wird von älteren Männern, die - meist übergewichtig, gekleidet in gedeckte Farben, in Leder oder Loden mit Hirschhornknöpfen - mit der Flinte auf der Schulter durch den Wald streifen und zu besonderer Form auflaufen, wenn sie abends im Dorfkrug bei Bier und Jägermeister von Trophäen und der guten alten Zeit erzählen? Diese Erscheinungsform der Jagd ist ein „Auslaufmodell“. Hingegen gibt es immer mehr Jäger, die ihr jagdliches Handeln als steuernden Eingriff in das Ökosystem betrachten, in dem ihr Jagdrevier liegt. In engem Austausch mit Landwirten und Waldeigentümern richten sie ihr Tun darauf aus, welche der jagdbaren Wildarten in welchem Landschaftsbereich zu welcher Jahreszeit aktiv ist und dort gegebenenfalls Schäden verursacht.
Insbesondere im Wald stellt sich die Situation so dar, dass durch das starke Anwachsen der Bestände vor allem von Rehwild, aber auch von Rotwild, Damwild und Muffelwild, die Schäden durch Verbiss (das Abknabbern von Trieben) und durch Schälen (das Abziehen der Rinde) junger Bäume so erheblich gestiegen sind, dass die Wälder sich nicht mehr natürlich verjüngen können. Das bedeutet auch, dass sogar gepflanzte Bäumchen aus der Baumschule in den meisten Wäldern nur dann eine Überlebenschance haben, wenn sie durch einen Zaun vor Wildverbiss geschützt werden. Der Fortbestand und die nachhaltige Nutzung ganzer Wälder ist dadurch mittlerweile gefährdet. Nicht zuletzt die Bundeswaldinventur 2012 hat dies deutlich belegt.
Da Einflüsse von Wildtieren jedoch nicht an der Waldkante halt machen, ist die Jagd auch auf Ackerflächen unabdingbar, wo Schwarzwild (Wildschweine) und Flugwild, insbesondere Gänse, zum Teil erhebliche Schäden anrichten.
Vor diesem Hintergrund ist es für den Jäger eine spannende und verantwortungsvolle Aufgabe, an der langfristigen Reduktion derjenigen Wildarten mitzuwirken, die für diese Schäden verantwortlich sind. Natürlich ändern diese Ausrichtung und dieses Selbstverständnis auch etwas an der Art und Weise, wie Jagd durchgeführt wird. Nicht die Trophäe der männlichen Tiere ist das jagdliche Ziel, sondern die tierschutzgerechte Erlegung vor allem auch der jungen und der weiblichen Stücke in ihrer Rolle als Zuwachsträger. Im Gegensatz zu den männlichen Trophäenträgern, die häufig in der Brunftzeit (Paarungszeit) erlegt werden und deren Fleisch in dieser Zeit eigentlich ungenießbar ist, liefern die weiblichen und jungen Stücke immer Wildbret von höchster Qualität.
Die zeitgemäße Jagd ist ein Handwerk, das nicht in erster Linie von Traditionen geprägt sein sollte, sondern von Menschen ausgeführt werden müsste, die jeden Tag dazulernen wollen und müssen. Die wildbiologischen Erkenntnisse über unsere heimischen Wildarten haben sich in den letzten 50 Jahren sehr erweitert und es kommen jedes Jahr neue Erkenntnisse hinzu. Dem müssen die heutigen Jägerinnen und Jäger Rechnung tragen; die Zahl der jagenden Frauen steigt in den letzten Jahren übrigens überproportional an.
In jedem anderen Lebensbereich erwarten wir, dass ein Handwerker fachkundig seine Aufgaben erledigt. Wir erwarten, dass er mit modernem Handwerkszeug und auf Basis aktueller Fachkenntnisse zu Werke geht.
Mit der Jagd ist es grundsätzlich genauso. Jeder Spaziergänger, Pilzsammler, Jogger, etc. darf erwarten, dass Jägerinnen und Jäger ihr Handwerk beherrschen, Fachwissen besitzen und sicher mit ihrem Werkzeug - ihrer Jagdwaffe - umgehen können. Es ist vor diesem Hintergrund kaum zu erklären, dass heute Jägerinnen und Jäger nach der Jagdscheinprüfung nie mehr verpflichtet sind, ihre Schießleistungen nachweisbar zu überprüfen. In einigen Bundesländern wird zwar inzwischen bei durch die jeweilige Landesforstverwaltung organisierten Jagden von allen Teilnehmern die Vorlage eines Schießnachweises verlangt. Dieser dokumentiert jedoch nur, dass der Schütze einen Schießstand besucht und dort geschossen hat, nicht aber, ob er in der Lage ist, seine Waffe treffsicher zu bedienen.
Für eine Jagd, die von einer teils kritischen Öffentlichkeit betrachtet wird, ist es daher besonders wichtig, dass die fachliche Eignung der Jägerinnen und Jäger vorausgesetzt werden kann. Schon der Anspruch, dass auf der Jagd tierschutzgerecht gehandelt wird, d.h. dass den Tieren durch einen tödlichen Schuss kein Leiden zugefügt wird, anders als es gelegentlich aus der industriellen Fleischproduktion berichtet wird, erfordert regelmäßiges Schießtraining. Daher erscheint es notwendig, dass eine turnusmäßige Überprüfung der Schießleistungen vorgenommen wird.
Zu dem zeitgemäßen Selbstverständnis der Jagd gehört auch, dass die Jäger und Jägerinnen ehrlich sagen, was sie tun und warum sie es tun:
„Wir gehen gern auf die Jagd!“
„Wir gehen auf die Jagd, um die Natur zu erleben und zu genießen, aber letztendlich um Tiere zu töten, die ein Leben in der freien Natur gelebt haben und die durch unseren sicheren Schuss schnell sterben, ohne zu leiden. Wir tun dies, um das Fleisch dieser Tiere zu essen oder als hochwertiges Lebensmittel zu verkaufen. Mehr Bio bei Fleisch geht nicht!“
„Wir achten auf die tierschutzgerechte Ausführung der Jagd und trainieren regelmäßig unsere Schießfertigkeit.“
„Mit der Jagd unterstützen wir die natürliche Waldverjüngung und die daraus erwachsende Biodiversität, die wiederum von erheblicher Bedeutung für die Widerstandsfähigkeit der Wälder im Klimawandel ist.“
„Wir schützen den landwirtschaftlichen Ackerbau vor Beeinträchtigungen durch Wildtiere.“
Diese klaren Aussagen bilden die Basis für eine sachliche Auseinandersetzung mit Nichtjagenden. Es ist zu wünschen, dass es gelingt, über die Anforderungen einer zukunftsorientierten Jagd zu diskutieren, damit diese von der Gesellschaft getragen wird. In diesem Diskurs sollten alle Beteiligten aus Jagdverbänden, Naturschutz, Tierschutz und Politik mit Augenmaß und Sachverstand an der zeitgemäßen Ausrichtung der Jagd arbeiten. Die Jagd ist in ihrem Fortbestand von ihrer gesellschaftlichen Legitimation abhängig. Sie muss daher auch unter Nichtjagenden mehrheitsfähig sein.
Wir brauchen die Jagd auch in Zukunft in unserer Kulturlandschaft, wo sie tatsächlich Schäden von land- und forstwirtschaftlichen Kulturen abzuwenden hat. Wenn sie auch von vielen noch als Freizeitvergnügen angesehen wird, ist die Jagd in der Zukunft immer mehr eine gesellschaftlich relevante Aufgabe. Dafür werden schon heute mehr jagdliche Fachleute gebraucht, als tatsächlich vorhanden sind.
In diesem Sinne: Es ist nie zu spät, mit dem Jagen anzufangen!
Mathias Graf v. Schwerin
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